Still: Die Kraft der Introvertierten von Susan Cain

Das Buch "Still" hat mich gepackt. Habe ich doch selbst in meiner Kindheit und Jugend ständig gehört: "Du bist so still!" Skeptisch reagiere ich auf Schwarz-Weiß-Einteilungen, die Menschen auf Persönlichkeitsmerkmale oder Charakterzüge festlegen. Ich habe da innere Leuchten, die warnend aufflackern. Doch die Autorin betont, dass es ein großes Spektrum zwischen "introvertiert" und "extrovertiert" gibt und jeder Mensch dabei seine individuelle Färbung hat.

Dieser Artikel ist erstmals am 12. September 2018 erschienen, hier liest du die aktualisierte Fassung.

Der Unterschied von extrovertiert und introvertiert

Die Autorin Susan Cain geht in ihrem Buch "Still" auf den Unterschied von extrovertiert und introvertiert ein.

Extroversion und Introversion unterscheiden sich darin, welchen Grad der Stimulation wir brauchen, um uns gut zu fühlen und in unserer Höchstform zu sein.

  • Die einen blühen auf, wenn sie auf der Bühne stehen und den ganzen Tag ohne Pause mit einer großen Gruppe von Menschen zusammen sind.

  • Die anderen bevorzugen Zweiergespräche und brauchen Zeiten, in denen sie alleine sein können. Vor einer größeren Menge sprechen sie dann, wenn es unbedingt sein muss, um für das einzutreten, was ihnen wirklich wichtig ist (und manche tun das mit der Zeit dann sogar richtig gern).

Susan Cain beschreibt viele Studienergebnisse und erzählt von sich selbst. Da hat sich mich also abgeholt.

Ich habe mich lange kritisiert, introvertiert zu sein

Aber was hat mich nun so gepackt an diesem Buch? Ich realisierte, dass ich mich immer noch dafür kritisierte, ein introvertiertes Temperament zu haben.

Wenn ich in einer Gruppe saß und es wurden Ideen gebrainstormed, dann wurde ich sehr schnell unsicher: Die anderen spucken ihre Ideen nur so aus, ich selbst brauche dafür Zeit, am besten alleine für mich. Ich fühlte mich in so einem Setting sehr schnell erschöpft.

Aber ich führte meine Unsicherheit und Erschöpfung nicht auf die Rahmenbedingungen zurück, die mir eben nicht entsprechen, sondern meinte, mit mir sei etwas nicht in Ordnung. Ich glaubte, anders sein zu müssen.

Dabei hatte ich doch angenommen, es nicht mehr als einen Makel von mir zu sehen, still zu sein. Darüber hinweg zu sein. Hatte ich doch mit Mitte 30 beschlossen, mich anzunehmen und wertzuschätzen, so wie ich bin. Und dadurch wurde so viel Neues und Schönes möglich.

Mein stilles Wesen anerkennen und gleichzeitig meine Stimme finden und ausdrücken, auf die mir eigene Art und Weise: Das ist der Faden, der sich durch mein Leben zieht. Und darin liegt auch mein Talent.

Die Menschen, die mir aufrichtiges Feedback geben, nennen häufig:

"Du hörst gut zu."

"Ich habe mich gesehen gefühlt."

"Ich habe mich wohl gefühlt."

"Ich schätze deine ruhige Art."

Für sie öffnet sich dadurch ein Raum, in dem sie sich sicher fühlen. Dadurch können sie sich in unbekannte Gebiete vorwagen und Neues von sich entdecken. Und auch das Vertrauen fassen, sich Dinge anzuschauen, die sie zuvor nicht sehen wollten.

Ich merke, dass sich vorwiegend Menschen für ein Coaching bei mir melden, die sich wie ich für vieles interessieren, Dinge tief ergründen wollen und Zeit für sich und in der Natur brauchen, um aufzutanken.

Sobald sie sich nicht mehr kritisieren für das, was sie brauchen und was ihre Eigenart ist, beginnt es zu fließen: Sie gehen aus sich heraus, ohne sich Gewalt anzutun oder sich zu verleugnen. Sie trauen sich, sich zu zeigen.

Sich mit seiner Stimme in der Welt auszudrücken, das muss nicht heißen, laut zu sein oder ständig zu reden

Sich auszudrücken muss auch nicht heißen, auf einer Bühne herumzuspringen und euphorisch auszurufen: "Seht mich. Ich bin die Beste. Mein Angebot ist das Beste."

Ich finde es gut, wenn wir Stillen darauf hören, dass wir uns nicht so verhalten wollen – ganz einfach, weil es uns nicht entspricht. Dafür brauchen wir uns nicht zu entschuldigen.

Und dennoch können wir uns auch etwas abschauen: Uns nicht von Zweifeln überwältigen zu lassen, aufrecht hinauszutreten, unsere Stimme zu erheben. Denn wir haben etwas zu sagen.

Link:

Susan Cain: Die Kraft der Introviertierten. Goldmann

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